Dreiländergiro von Georg (06/2011)

Vorgeplänkel

Donnerstag Abend, gegen 20 Uhr….langsam wird mir bewusst, dass ich wirklich den Dreiländergiro mitfahren werde. Morgen früh wird Björn vor der Tür stehen, wir werden mein Rad und mein Gepäck einladen, und dann gibt es kein zurück mehr. Immer wieder geistert ein Gedanke durch meinen Kopf: „Ruf Björn an, sag das ab! Du bist nicht fit genug dafür! Scheiß auf das Geld für Start und Pension!“

Doch ich will mir diese Blöße nicht geben, will auch die Kameraden nicht enttäuschen. Letztlich will ich es selbst erfahren, was das heißt: Alpen. Pässe. Alpenpässe!

Also noch mal alles am Rad kontrolliert, die Kompaktkurbel und das 28er Ritzel hatte ich schon am Vorabend montiert und eingestellt. Alles dabei? Nervös gehe ich meine Ausrüstung mehrfach durch. Nur nichts vergessen, wer weiß, was für Wetter wir bekommen werden? Nachts kann ich nicht recht einschlafen, und als um 4:30 der Wecker klingelt, fühle ich mich wie gerädert. Auch mit 4 Tassen Kaffee läßt sich mein Verdauungsapparat nicht zur Mitarbeit überreden – der weiß wohl, das er unkündbar ist: Es wird nicht vor 8:30 aufgemacht, wie jeden anderen Tag auch. Hoffentlich ist das am Sonntag anders, denn da müssen wir genauso früh heraus!

Hinreise und Ankunft

Fünf Minuten vor 6:00 Uhr stehe ich im Hausflur, eine Minute später Björn mit dem Lühe-Gemeindebus in der Einfahrt.

Einladen und weiter – nach und nach werden die Kameraden eingesammelt. Über die 10 Stunden Auto-Ochsentour will ich nicht viel Worte verlieren. Björn hat uns heldenhaft und zügig (sehr zügig!) ohne Ablösung sicher ans Ziel chauffiert.

 

 

Mein erster Eindruck der Alpenkulisse ist intensiv. Zwar bin ich nicht das erste Mal in den Bergen, aber in dem Bewusstsein, da irgendwie hochfahren zu müssen, mit dem Fahrrad, wirken die schroffen Granitgiganten gleich doppelt so abweisend, steil und hoch. Majestätisch und unnahbar.

Die Pension auf der Norbertshöhe ist ein wahres Juwel – tolle Aussicht, schöne Gebäude, die Zimmer grosszügig und blitzsauber. Schnell sprechen Michael M. und ich uns ab, ein Zimmer zu teilen, weil wir beide nicht schnarchen. (Was offenbar nicht ganz stimmt, wie sich später herausstellt.)

 

 

Erste Höhenmeter und leckeres Essen

Frank motiviert Michael und mich, noch eine „Minirunde“ zu fahren: Einmal nach Martina in der Schweiz hinab, und wieder zurück zur Norbertshöhe. Der Schlußanstieg des Giro. Schnell umgezogen und die Räder startklar gemacht, dann geht es los bei einem recht frostigen, scharfen Wind, und zwar gleich in die Abfahrt. Obwohl die Geraden zwischen den Spitzkehren ziemlich kurz sind, stehen immer wieder über 60 km/h auf dem Tacho, und das Einbremsen in die Haarnadelkurven ist mir gänzlich ungewohnt und auch ziemlich suspekt.

Nach der dritten oder vierten Kehre merke ich aber, das ich das ganz gut hinbekomme – eine Sorge weniger. Unten an der Zollstation halten wir uns ein paar Minuten auf – Frank’s Tacho mag nicht. Dann auf den Rückweg in den Anstieg zur Norbertshöhe. Frank legt flott vor, doch dank des neuen Bergganges (34/28) kann ich das Tempo mitgehen – meine ich. Schon ein paar hundert Meter weiter merke ich, das mir die Luft ausgeht.

Komisch, zuhause in der Ebene sind es meistens die Beine, die dem Tempo die Grenze setzen. Ich lasse mich zurückfallen, bin aber offenbar immer noch zu schnell, und muss mehrfach Pausen einlegen, bei denen ich nach Luft schnappend über dem Lenker hänge. Michael begleitet mich die letzten 5 oder 6 Spitzkehren nach oben und versucht mich zu motivieren. (Danke! – Sonst hätte ich vielleicht geschoben – wie erniedrigend.)

 

 

Zurück in der Pension ist meine Stimmung ziemlich unten. Wenn ich schon die Norbertshöhe kaum schaffe, wie soll ich dann den Ofenpass und die anderen Höhenmeter bewältigen??? Denke ständig ans nicht-Starten, auch wenn ich äußerlich rumflaxe. Mir ist noch Björns Schilderung aus dem letzten Jahr sehr präsent. Nur nicht in den Besenwagen!

Abendessen ist ABSOLUT Top, wie die ganze Verpflegung in der Pension. Die eine Bedienung fasziniert die ganze Truppe, und es wird stellenweise recht zotig…Männer halt, wir können nichts dafür.

Einrollen an Samstag

Wir fahren eine kleine Eingewöhnungsrunde, am See entlang. Grandiose Landschaft und ein toller Radweg – diesen Abschnitt sollten wir ruhig einpacken und mitnehmen! Anschließend noch die Startnummern abgeholt. Zu meinem Verdruß ist meine Nummer für die ‚B‘ Strecke knallorange, und ich muss mir von den Kameraden diverse Witzchen zur ‚Mädchenstrecke‘ und zum ‚Behindertenausweis‘ anhören.

Zufällig habe ich heute Geburtstag, und mir wird verheißen, ich bekäme einen tollen neuen Carbon-Rahmen….den ich aber oben auf den Stelvio abholen müsse….jaja. Da schleppe ich doch lieber meine Wasserrohre auf der kleinen Strecke rum. Auf so einem heliumgefüllten Ruß-Plastik Ding kann ja jeder die Pässe hochschweben…

 

 

Das Abendessen läßt sich wieder toll an – bis mir böses Gegrummel und Druck im Bauch den Essensstop signalisiert. Ich lasse die beiden letzten Gänge stehen und verzieh mich auf’s Zimmer. Flotter Otto…Nervosität oder was Falsches gegessen? Hoffentlich ist das morgen weg!! Wiederum unruhige, kurze Nacht.

Quäl Dich!

Der Wecker piepst, und während ich mich benommen aufrichte, kann Michael das Witzemachen selbst früh morgens nicht lassen: „Es regnet, die Strassen sind patschnass…“

Ein Blick aus dem Fenster belehrt mich eines Besseren: Das war kein Witz! Trotzdem Dusche, anziehen, Frühstück. Naturgemäß ist die Stimmung allerorten gedrückt. Ich nehme mir vor, nicht zu fahren, wenn es so nass bleibt, schon wegen der Abfahrten.

Als wir nach Nauders runterrollen, nieselt es noch. Eiskalt schlagen die Tropfen ins Gesicht und an die nackten Beine. Wir mogeln uns seitlich in die Masse der wartenden Fahrer. Der Puls steigt mit der Lautstärke der Musik, mit der wir, im steten Wechsel mit launigen Sprüchen des Veranstalters „Das Wetter wird besser, da steht einer gemütlichen Radwanderung nichts mehr im Weg…“, dauerberieselt werden. Und tatsächlich hört der Regen auf!

Endlich ist es 6:30, und zu den beruhigenden Klängen von AC/DC setzt sich der Pulk langsam in Bewegung. Da es gleich in den kleinen Anstieg zum Reschenpass geht, ist das Anfangstempo gemäßigt – gut so. Ich hatte Sorge, die Leute würden gleich so losballern wie bei den Cyclassics, aber es läuft gesittet ab. Auffällig sind aber die vielen Pannen gleich zu Anfang – merkwürdig.

In flottem Tempo geht es am Reschensee vorbei in die erste Abfahrt Richtung Glums. Hier erlebe ich, was sich auf der ganzen Strecke wiederholen sollte: Bergab bin ich schnell, überhole die Mitfahrer im Dutzend. Wahrscheinlich ist es die Kombination aus schwerem Stahl und super leichtlaufenden Campa-Lagern….;). Spass beiseite, ich glaube, daß ich mich einfach kleiner mache als die meisten anderen – Kinn auf den Vorbau, Ellenbogen einziehen, dann läuft das. Leider (oder glücklicherweise?) kann ich meinen Tacho aus dieser Position nicht sehen. Gefährlich finde ich die immer wieder auf der Gegenfahrspur geparkten PKW –  was soll das?

 

 

Da kommt auch schon die Streckenteilung – Männer links, Kinder und Frauen rechts. Schnell frische ich das Makeup in meinem geliebten Rückspiegel auf und biege rechts ab. Nach ein paar hundert Metern leichten Anstiegs halte ich an – Regenjacke aus und in die Trikottasche gestopft, Armlinge runtergestreift – weiter!

Noch bin ich guter Dinge – wenn der gesamte Anstieg zum Ofenpass so läuft, wo soll das Problem sein? Da mein Uralt-Tacho mir nicht verrät, wieviel Prozent die Steigung denn hat, lasse ich mich täuschen, denn plötzlich wird es viel schwerer. Kein Problem, denke ich, einfach ein oder zweimal runterschalten, dann läuft das. Verflixt, meine Schaltung klemmt! Nach einem Blick auf’s Ritzelpaket dämmert es mir: Ich bin schon auf dem größten Ritzel.

Das Tempo und die Trittfrequenz fällt, der Puls steigt. Immerhin fällt das auch den Mitfahrern erkennbar schwer, das beruhigt mich etwas. Nach Taufers wird es wieder leichter, und als ich in St. Maria an der Labestation halte, fühle ich mich frisch und optimistisch. Während ich mir eine Banane reinwürge (ich mag keine Bananen), macht mir ein Österreicher – kaum verständlich diese Eingeborenensprache – weiteren Mut: Ab jetzt gehe es ganz gleichmäßig bis zum  Pass, nicht mehr solche Rampen wie vor Taufers. Blond und blöd wie ich bin, kapiere ich nicht, was er wirklich meint…

 

 

Kaum aus dem Ort heraus geht es erst so richtig los, mindestens 15% Steigung! Naja, sagen wir gefühlte 15%. Ich konzentriere mich darauf, unterhalb des ‚roten Bereiches‘ zu bleiben – auch wenn der Tacho unter 10 km/h fällt. Ja, mein Eingeborener hatte Recht – schön gleichmäßig ist es ja…
Ich klemme mich an das Hinterrad eines Mitfahrers, fixiere seine Ritzel und kurble wie im Trance weiter.

Irgendwann wird eine Art Lücke zwischen den Gipfeln und Berghängen sichtbar – „Das muß der Pass sein!“ denke ich, und Erleichterung macht sich in mir breit. Eine Mitfahrerin, die ich gerade im Zeitlupentempo überhole, muß wohl Gedanken lesen können, denn sie deutet irgendwo nach rechts oben und keucht „Da müssen wir hoch…“

Ich gucke in die angegebene Richtung und sehe steile Serpentinenrampen, die direkt in die Felswand gehauen scheinen. Alles klar. Was bin ich froh, SPD-Clickpedale zu fahren. In den Schuhen kann man wenigstens mit Würde gehen und schieben. Doch es wird weniger schlimm als erwartet, obwohl ich ganz schön beißen muss. Tatsächlich habe ich noch ein paar Körner übrig, als die Gebäude auf dem Pass in Sichtweite kommen, und in bester Pantani-Manier gehe ich aus dem Sattel, um die letzten Meter hochzustürmen. Komisch, daß mich die Kräfte direkt hinter dem Fotografen verlassen und ich wieder auf den Sattel plumpse…

 

 

 

Die Rast an der Labestation fällt kurz aus, denn es weht ein kalter, schneidender Wind, und ich fange an zu frieren. Ofenpass, soso. Fällt wohl in die gleiche Kategorie wie der ‚gleichmäßige Anstieg‘ von vorhin. Also noch eine Banane (die Käsebrote sehen nicht dolle aus, und diejenigen Mitfahrer, die es dennoch wagen, stoßen beim Kauen Staubwölkchen aus), Regenjacke und Armlinge an, Flasche aufgefüllt, und rein in die Abfahrt.

Diese ist fahrerisch nicht schwer, da es keine wirklich scharfen Kurven oder Kehren gibt, und auch nicht allzu schnell. Im Handumdrehen finde ich mich in dem ‚Gegenanstieg‘ wieder, vor dem mich Haky schon gewarnt hatte. Und in der Tat, der zieht sich länger hin als ich erwartet habe, und kostet nochmal richtig Kraft. Belohnt werde ich anschließend mit einer heißen Abfahrt Richtung Zernez.

Das Tempo hoch, die Landschaft grandios, insbesondere der Blick in das linkseitige Spöltal. Der Tacho erreicht streckenweise 78 km/h – so schnell war ich noch nie auf dem Rad. Gegen Ende der Abfahrt geht es mehrfach in langgezogenen Kurven durch diese ‚Halbtunnel‘ – in einem davon wird es unangenehm, denn der Fahrbahnbelag ist plötzlich sehr uneben und wellig. Hiervor hätte die Rennleitung unbedingt warnen sollen bzw. Warnschilder aufstellen müssen. Das kann schnell danebengehen!

 

 

Bald ist Zernez erreicht, und etwas widerwillig halte ich an der Labestation – es ist noch ein weiter Weg bis Martina, und dazwischen gibt es keine Versorgung mehr. Schade um den schönen Schwung!
Ich mache großzügig Pause, eine Banane, 2 wirklich leckere Stücke Kuchen, und ein paar Becher rosa Suppe, die ich notgedrungen trinke, nachdem der Bierbauch hinter der ‚Theke‘ anscheinend wirklich nicht weiß, was der ‚Cocktail Contador‘ ist, den ich verlange. Selbst das Klopfen auf die Ellenbogenbeuge, die ich ihm entgegenhalte, kann oder will er nicht verstehen….

Weiter geht’s ins Engadin – ich habe noch Haky im Ohr: „Du musst eine gute Gruppe finden, sonst kämpfst Du ewig im Gegenwind!“. Tja, Gegenwind ist da, aber von Gruppe keine Spur. Macht nichts, Gegenwind sind wir Fischköppe ja gewohnt, und ich fahre nicht auf Zeit. Stattdessen geniesse ich die Landschaft und mache Fotos. Nach einer Weile kommt von hinten eine richtig schnelle Truppe auf – ich gebe alles um auf ihr Tempo zu beschleunigen, und hänge mich hinten dran.

Ab da ist Express angesagt – der Tacho geht selten unter 45 km/h, doch die Freude währt nicht allzu lang, denn die Jungs wechseln sich schnell ab, und plötzlich stehe ich allein vorne im Wind. Ich versuche, meine Pflicht zu tun, aber mehr als 38-39 sind bei mir nicht mehr drin, und ich gehe ziemlich schnell wieder raus. Ein paar Kilometer später laufen wir auf eine langsamere Gruppe auf, und ich lasse den ICE davonziehen…

 

 

Doch die neue Gruppe ist mir zu langsam, und so fahre ich bis etwa Scuol mehr oder minder alleine. Trotzdem, oder gerade deswegen geniesse ich dieses Stück. Schöner kann Radfahren doch kaum sein! Berge links, der mintgrüne Fluss rechts, dank fast ständigem, leichten Gefälle auch ein gutes Tempo, schönes Wetter, ohne zu heiß zu sein – Herz, was willst Du mehr? Streckenweise ertappe ich mich dabei, wie ich anfange zu ‚heizen‘, doch der Gedanke an die lauernde Norbertshöhe bringt mich schnell dazu, etwas Gas herauszunehmen.

Bei Scuol laufe ich auf 3 andere Fahrer auf und klinke mich in die kleine Gruppe ein, mit der ich ereignislos bis Martina durchrausche. Dort halte ich an der letzten Labestation, ich will Kräfte sammeln für die fiese Norbertshöhe. Doch meine Ängste sind unbegründet – obwohl das hart ist, meine Oberschenkel brennen, meine Lunge pfeift – es geht weitaus besser als noch am Freitag. Angepasstes Tempo ist das Zauberwort. Trotzdem bin ich ziemlich erledigt, als ich an der Norbertshöhe ankomme, und sehnsüchtig schweift mein Blick nach links zu unserer Pension – was freue ich mich auf ein paar entspannte Bier dort auf der Terrasse!

Doch erstmal geht es in die letzte Abfahrt nach Nauders, zum Zieleinlauf. Gerne würde ich über selbigen schreiben, über das tolle Gefühl, es geschafft zu haben – aber leider verlässt mich meine Erinnerung direkt bei der Unterführung, denn ich stürze schwer im Ziel und wache erst in Krankenwagen wieder auf. Doch das ist eine andere Geschichte. Immerhin wird nichts nachbleiben….

Fazit? Leichter als gedacht, härter als geglaubt – nächstes Jahr wieder? Ich denke schon, diesmal auf der Männerstrecke…

Radsport im Alten Land